Tomasz Stańko, Polens bekanntester Jazzmusiker ist tot. Er starb am 29. Juli 2018 im Alter von 76 Jahren nach schwerer Krankheit in seiner Wahlheimat Warschau. Der über die Landesgrenzen bekannte Musiker galt als Begründer des europäischen Free Jazz. Der 1942 in Rzeszów geborene Tomasz Stańko lernte in seinem musikalischen Elternhaus zunächst Klavier und Geige. Er studierte an der Musikakademie in Krakau. Geige und Klavier waren bald kein Thema mehr, als er mit dem modernen Free Jazz in Kontakt kam. Die Musik von Miles Davis, John Coltrane, Ornette Coleman und Chet Baker waren wie eine Offenbarung für Stańko, der sich nun ganz auf die Trompete konzentrierte. Auf seinem Instrument fand er bald zu einem ganz eigenen und unverwechselbaren Stil.
Mit gerade einmal 20 Jahren gründete Stańko 1962 das Quartett Jazz Darings, das eine Musik spielte, die aufhören ließ und stilistisch vor allem vom Free Jazz von Ornette Coleman beeinflusst wurde. Schon im Gründungsjahr gewann das Quartett seinen ersten Jazzwettbewerb, bei dem Stanko auch gleich zum besten Musiker gekürt wurde. Nur ein Jahr später folgte ein erster Meilenstein beim kometenhaften Aufstieg, die Teilnahme beim "Jazz Jamboree Festival" in Warschau.
Der Pianist und Komponist Krzysztof Komeda wurde auf Stańko aufmerksam und sein Mentor. Die beiden Jazzer spielten 1965 gemeinsam mit der dritten Größe des polnischen Jazz Zbigniew Namysłowski das Album „Astigmatic“ ein, das nicht nur als ein weiterer Meilenstein in der Karriere Stańkos gilt, sondern als Beginn des eigenständigen polnischen Free Jazz. Komeda (Filmmusik zu „Rosemary’s Baby) wurde der Musiker, der Stańko wohl am meisten beeinflusst hat. Entsprechend tief beeindruckt war Stańko vom frühen Unfalltod Komedas im Jahr 1969. Er widmete seinem verstorbenen Mentor das erste Album, bei dem er als Bandleader fungierte: Music for K.
Bereits seit 1967 galt seine eigene Band, das Tomasz Stańko-Quartett bis 1973 als wohl beste Modern-Jazz-Formation Europas. Nach 1973 war Stańko bis in die 1980-er Jahre hinein kein festes Mitglied einer Band mehr. Er experimentierte mit elektronischer Musik und nahm Platten mit anderen Künstlern auf wie mit Stu Martin, Dave Holland und Heinz Sauer, spielte Fusionmusik und hatte viele Solo-Auftritte, wie beim Jazz Festival Montreux.
Eine weitere Hommage an seinen Mentor Komeda, das 1997 eingespielte Album „Litania“ brachte ihm weltweite Anerkennung und wurde im Jahr 2000 mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts trat Stańko mehrfach mit dem Simple Acoustic Trio auf. Ein weiterer Tribut an sein Heimatland war das Doppel-Album „Wisława“, das er mit dem New York Quartet einspielte. Thematisch handelt es sich dabei um eine Hommage an die 2012 verstorbene Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska, deren Dichtkunst Stańko verehrte.
Stańkos Musik ging unter die Haut und war durch einzigartige Klangfarben von strahlend über lyrisch bis dunkel-melancholisch und fast immer mit Melodiebezug gekennzeichnet. Der Stańko-Stil hat den europäischen Free Jazz mitgeprägt. So war Tomasz Stańko denn auch weit über sein Heimatland Polen hinaus bekannt. Seine Musik fand weltweit Anerkennung. So zeichnete ihn die französische Jazzakademie im Jahr 2013 mit dem Titel "Europäischer Musiker des Jahres" aus. Doch für Polen hatte er immer eine ganz besondere Bedeutung, wie der gesamte Jazz. Stańkos Musik war Jazz und Jazz bedeutete einen Hauch von Freiheit in der kommunistischen Zeit der Volksrepublik. Jazz war nicht zu kontrollieren, denn er fand in Kellern statt. Und Jazz konnte nicht einfach verboten werden, handelte es sich doch um die Musik der unterdrückten Schwarzen in den USA.
In Deutschland hatte man bereits eine schwere Erkrankung Stańkos befürchtet, als schon früh seine Teilnahme am Festival XJazz in Berlin und sein für den 25. November in der Hamburger Elbphilharmonie geplantes Konzert „My Polish Heart“ mit dem New York Quartet abgesagt wurde. Am 29. Juli ist der legendäre polnische Jazzer in einer Warschauer Klinik seiner Krebserkrankung erlegen. Stańkos Trompete schweigt nun für immer, doch bleibt seine Musik auf über 40 von ihm eingespielten Alben der Jazzwelt erhalten. Am 10. August wird Tomasz Stańko auf dem Warschauer Powązki-Friedhof beigesetzt. 08-2018 Jäger-Dabek