Pokot - Das Ökofilmdrama der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland
„Pokot“, der Film von Agnieszka Holland machte Furore bei der diesjährigen Berlinale und gewann den Silbernen Bär für einen Spielfilm. Der Spielfilm der 1948 geborenen Grande Dame der polnischen Filmkunst eröffnet neue Perspektiven. Der Titel „Pokot“ bedeutet im Deutschen so viel wie Jagdstrecke, also die nach einer Jagd in Reihe gelegte, zur Strecke gebrachten Tiere, auf English ist er „The Spoor“ betitelt, übersetzt „Die Spur“.
Die Regisseurin Agnieszka Holland hat als Grundlage zu diesem Film mit „Der Gesang der Fledermäuse“ (Prowadź swój pług przez kości umarłych) einen Roman von Olga Tokarczuk verwendet. Die Autorin zählt zu den bekanntesten polnischen Gegenwartsschriftstellerinnen. Das Drehbuch zu „Pokot“ haben Agnieszka Holland und Olga Tokarczuk gemeinsam geschrieben.
Pokot – Ökodrama in Niederschlesiens Jagdszene
Der Winter ist eingebrochen und die abgeschiedene Berglandschaft der Sudeten im Süden Polens an der Grenze zu Tschechien liegt tiefverschneit da. Das Leben hier ist einfach, an die Jahreszeiten und an die Natur gebunden und so, wie es immer schon war. Doch die Idylle trügt, hier wird das Leben von althergebrachten Traditionen und den Regeln der Kirche bestimmt. Die Jagd ist Lebensinhalt und die einzelne Abwechslung der Dörfler. Die Männer, die zur Jagd gehen, gehören dort zum Establishment und zu den Dorfhonoratioren. Im Winter streifen sie durch die idyllische Schneelandschaft der dichten Wälder.
Doch gibt es in dem verschlafenen Ort auch Gegner der Jagd, wie die Tierschutz-Fanatikerin und Hobby-Astrologin Janina Duszejko (großartig gespielt von Agnieszka Mandat-Grabka), eine pensionierte Bauingenieurin, die den Kindern in der Dorfschule aushilfsweise Englischunterricht erteilt. Ansonsten führt sie ein stilles Leben mit ihren beiden Hündinnen. Von allen männlichen Dorfbewohnern wird ihr Name grundsätzlich zu Duszenko verballhornt ausgesprochen.
Plötzlich kommt Unruhe in die Bergidylle, als Duszejkos Nachbar, ein Wilderer tot aufgefunden wird. Doch damit nicht genug, werden im Laufe eines Jahres immer mehr mysteriöse Todesfälle registriert – und alle diese Toten sind Jäger und gehören zur Dorfprominenz, wie der Besitzer einer Fuchsfarm, der Polizeichef und der Bürgermeister.
Verstörend für die Dorfbewohner ist die Tatsache, dass es ausschließlich tierische Spuren in der Umgebung der Toten gibt. Es sieht aus, als ob alle Opfer von wilden Tieren gerissen wurden. Doch nicht nur die Polizei nimmt die Fahndung auf. Für die Staatsmacht ist die fanatische Tierschützerin die erste Verdächtige. Doch auch Janina Duszejko beginnt mit ihren Freunden zu ermitteln. Diese Gruppe von Exzentrikern besteht aus all denen, die in der ultrakonservativen Gesellschaft der Region Außenseiter sind, zu den Schwachen gehören oder einfach nur anders und somit suspekt sind. Sie leisten Widerstand, zeigen sich quergebürstet und als durchaus gewichtiger Gegenpol in der Ermittlung der Tathergänge, denn sie gehen der Mordserie auf eigene Faust nach.
Hat also die Natur zurückgeschlagen gegen den menschlichen Frevel? Weil Menschen, die sich gegen Umwelt und Natur versündigen, sich in letzter Konsequenz auch an Menschen vergehen werden? Ist doch die widerspenstige Umwelt-Aktivistin Janina Duszejko in die Tat verwickelt? Die Lösung wird hier natürlich nicht verraten!
Pokot: Ökothriller und kritischer Heimatfilm zwischen klassischem Filmformat und Episodenformat
Agnieszka Holland verließ ihre Heimat Polen kurz vor Ausrufung des Kriegsrechts 1981 und lebt seit dem in Paris und seit einigen Jahren auch in den USA, wo sie erfolgreich bei Mini-Serien wie „House of Cards“ Regie führte und so mit modernen filmischen Erzähltechniken vertraut ist.
Diese Erfahrung mit der Serien-Episodenstruktur hat Holland auch bei „Pokot“ als Stilmittel verwendet. Janina Duszejko als starke Hauptfigur des Films – wie sie auch in Serien üblich ist – hält das Geschehen zusammen, Inserts unterteilen wie Buchkapitel und kündigen in „Pokot“ neue Jahreszeiten an und die damit beginnende Jagdsaison für eine Tierart, Rückblenden fassen Geschehens dramaturgisch wirksam zusammen. Dazu kommt „Pokot“ ästhetisch der in den modernen erfolgreichen Skandinavien-Krimis herrschenden Düsternis und beklemmenden Dunkelheit zunächst nahe. Doch etwas ist anders bei „Pokot“: Mit jedem Toten wird es heller, scheint die Natur ein Stück aufzuatmen. Hoffnung scheint in die Region zu kommen, positive ja humorige Figuren wie der tschechische Käfer sammelnde Professor, oder der IT-Spezialist der Polizei werden eingeflochten und symbolisieren auf subtile Weise für die Hoffnung auf eine bessere Welt.
Dem kongenialen Drehbuch-Duo Agnieszka Holland und Olga Tokarczuk ist es gelungen, in „Pokot“ eine Reihe vielschichtiger Charaktere einzubringen. Wer sehen will, sieht in den sich entspinnenden Dialogen quasi zwischen den Zeilen viele satirische Zitate zum Zustand der polnischen Gesellschaft und einige widerspenstige Statements zum Verhältnis von Mensch, Tier und Umwelt, sowie Mann und Frau. So ist dieser „Öko-Thriller“ auch ein Genremix und ein quergebürsteter Heimatfilm mit einigen neuen Stilelementen.
Rezeption des Films in Polen
Ähnlich wie der mit dem Oskar prämierte Film „Ida“ stößt auch Agnieszka Hollands mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Film „Pokot“ in Polen auf ein geteiltes Echo. Der neuen Kulturpolitik der PiS-Regierung erscheint Hollands Film als „Nestbeschmutzung“, zeigt er doch gesellschaftliche Risse und Brüche auf. Und leider: auch antisemitische Anklänge sind zuweilen nicht zu übersehen, dann Agnieszkas Hollands Vater war Jude und Sozialist.
Nicht wenige polnische Kritiker bekritteln nicht richtig verstandene Details des Films, um ihr prinzipielles Unbehagen gegenüber Format und Aussagen auszudrücken. So wird das ständige falsche Aussprechen des Namens der Protagonistin Janina Duszejko als nerviger Running Gag abqualifiziert. Doch zeigt gerade dieser Kunstgriff die Herabwürdigung und Geringschätzung älterer Frau in der Gesellschaft auf. Dazu kann man diese „Kleinigkeit“ auch durchaus als Zitat einer einstigen großen Stärke des polnischen Films interpretieren: der großen Kunst, Wesentliches zwischen den Zeilen deutlich zu machen.
Weitere Kritikpunkte wiederholen sich in vielen polnischen Medien-Kanälen, so der Vorwurf, der Stoff gäbe allenfalls eine Krimikomödie her, für einen Thriller fehle die Power. Die grandios aufgenommene Natur wird als infantile Heile-Welt-Kulisse diffamiert und als Märchen über eine schwarz-weiße Welt, die leicht zu reparieren ist, die Figuren seien zu eindimensional. Die Kritik gipfelt nicht selten in Urteilen wie dem, das Agnieszka Holland über den Zenit ihres Könnens hinaus sei.
Mit diesen Kritiken werden mit Agnieszka Holland und der Schriftstellerin Olga Tokarczuk gleich zwei unliebsame Künstler in die Ecke der nicht erwünschten Kulturschaffenden gestellt. Mit finanziellen Förderungen für ihre Kulturprojekte werden die beiden streitbaren Frauen derzeit nicht rechnen können.
Auf die Frage, ob sie sich von der polnischen Regierung als so etwas wie eine Volksverräterin behandelt fühle, antwortete Agnieszka Holland der Tageszeitung „Welt“, dass das leider, was die Regierung und deren Medien beträfe, auf jeden Fall so sei. Es sei ihr peinlich, dass es so etwas und auch den ihr gegenüber gezeigten Antisemitismus in Polen derzeit gäbe.
Fazit: „Pokot“ ist ein sehr moderner Film der polnischen Altmeisterin Agnieszka Holland, plakativen Thriller-Szenen folgen subtile Einschübe, die Inhalte in Botschaften zwischen den Zeilen verpacken. Holland scheut sich auch nicht, dabei Erzähltechniken aus modernen Fernsehserien zu verwenden. Wer sehen will sieht auch Botschaften, denn „Pokot“ soll Diskussionen in Gang bringen, über die Stellung älterer Frauen in der polnischen Gesellschaft und ihre Geringschätzung, über die unreflektierte Autoritätsgläubigkeit, über das Verhältnis gesellschaftlicher Gruppen wie Männer und Frauen, aber auch das von Alten und Jungen zueinander sowie über die fehlende Wertschätzung und den gleichgültigen Umgang der Menschen mit der Natur. Einzige kleine Schwäche des Films sind die Erklärungen und Offenbarungen am Ende, die etwas zu bemüht sicherstellen sollen, dass der Zuschauer auch alles richtig versteht.
So hat dieser außergewöhnliche Film viele Facetten wie Öko-Thriller. Episodendrama und kritischer Heimatfilm. Gerade deshalb ist er nicht nur für engagierte Umweltschützer eine Empfehlung. Vielschichtige Charaktere, die satirisch, zuweilen humoristisch und ein wenig skurril gezeichnet und großartig gespielt sind und ein spannender Aufbau machen diesen Film so sehenswert.
Der Film ist auf DVD mit englischen Untertiteln erhältlich. 09-2017 Jäger-Dabek
Film-Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=eq28mRyg85U
Rammstein Paris
Der schwedische Regisseur Jonas Åkerlund drehte im März 2012 bei zwei Rammstein-Konzerten, die vor jeweils 17.000 begeisterten Zuschauern im Pariser Bercy stattfanden. Daraus entstanden ist ein besonderer Konzertfilm, der alles vermittelt was Deutschlands erfolgreichste Metal Band (Till Lindemann, Richard Kruspe, Christoph Schneider, Flake Lorenz, Paul Landers und Oliver Riedel) ausmacht. Aus 60 Blickwinkeln (30 Kameras) wurden die Konzerte eingefangen, ebenso intensiv die einzelnen Musiker bei der Generalprobe. Dieses tonische und visuelle Showerlebnis, mit 16 Songs aus dem Rammstein-Repertoire, präsentiert die Gruppe als ganzheitliches Kunstobjekt. Am 23.03.2017 wird der Film weltweit in ausgesuchten Kinos vorgestellt. In deutschen Programmkinos zu sehen am 23., 24. und 29.03.2017. Der Ticketvorverkauf hat begonnen. Hierzu ist mittlerweile eine DVD/Blu-ray in limitierter Auflage erschienen, zu beziehen u.a. über LIFAD. www.rammstein.de
Mein Leben als Zucchini
Der französisch-schweizerische Animationsfilm „Mein Leben als Zucchini“ von Claude Barras (Drehbuch Céline Sciamma) im Stop-Motion-Verfahren aus dem Jahre 2016, ausgezeichnet mit "Satellite Award for Best Animated or Mixed Media Feature 2017" und "Europäischer Filmpreis Bester Animationsfilm 2016" sowie Oscar-Nominierung 2017, ist ab dem 16.02.2017 in den Kinos zu sehen. Der Puppentrickfilm basiert auf dem Buch "Autobiographie d'une courgette" von Gilles Paris. Der 9jährige Junge mit dem Spitznamen „Zucchini“ ist nach dem plötzlichen Tod seiner alkoholkranken Mutter, den er verschuldet hat, allein auf sich gestellt. Er wird von einem freundlichen Polizisten in ein Heim gebracht, wo er mit anderen Kindern aus schwierigen Verhältnissen leben muss. Nach anfänglichen Problemen freundet er sich mit vielen von ihnen an und als dann ein neues Mädchen namens Camille ins Heim kommt, ist Zucchini sogar erstmals ein wenig verliebt. Camilles Tante möchte sie jedoch zu sich holen, damit sie das Pflegegeld einkassieren kann. Zucchini und seine Freunde versuchen nun mit allen Mitteln, Camille bei sich zu behalten. Ein Film, der auch geeignet ist Kindern Mut und Freude zu machen, die in einem problematischen sozialen Milieu aufwachsen müssen. 02-2017 IK www.zucchini-film.de
Jackie
Dieser Film kommt genau zum richtigen Moment in die Kinos. In einer Zeit wo Menschen weltweit gespannt in Richtung Amerika blicken und einem US-Präsidenten Donald Trump überwiegend mit Angst und Sorge gegenüber treten; im krassen Gegensatz seinerzeit zu John F. Kennedy, der die Stimmung des Aufbruchs in Richtung liberales Amerika verkörperte. „Jackie“ ist nicht als klassische Filmbiographie einzuordnen; vielmehr ist dem chilenischen Regisseur Pablo Larrain mit seinem ersten englischsprachigen Film über die wohl bis heute berühmteste Präsidentengattin ein außergewöhnlich inszeniertes, scharfsichtiges und emotional ergreifendes Politdrama gelungen. Als am 22.11.1963 der 35. US-Präsident „JFK“ (Capar Phillipson) in Dallas erschossen wird, hat Jacqueline Kennedy (Natalie Portman) wie jeder Hinterbliebene erst einmal den plötzlichen Tod ihres Mannes und Vaters ihren beiden kleinen Kinder zu realisieren. Gleichzeitig hat sie nach dem Attentat als Ex-First-Lady nur noch wenige Tage Zeit, um mit der ihr noch verbliebenen restlichen Macht letztmalig die weltweite Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ob der persönlichen Eitelkeit geschuldet oder um den politischen Leistungen ihres Mannes ein strahlendes Denkmal zu setzen, bleibt im Film bewusst offen. Auf jeden Fall will sie die Beisetzung in Anlehnung an die Trauerfeier des ebenfalls ermordeten Abraham Lincoln als öffentlichkeitswirksame Großzeremonie in Szene setzen, in der unzählige Menschen in den Straßen „ihrem“ Präsidenten das letzte Geleit geben können. Jackie hat sich mit diesem Vorhaben gegen den Widerstand des Teams um den Ersatzpräsidenten Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch) durchzusetzen vermocht, welches eine solche Veranstaltung einerseits als hohes Sicherheitsrisiko einschätzt und darüber hinaus die mediale Omnipräsenz des Kennedy-Clans einzudämmen versucht. Jackie ist es jedoch gelungen ein bis heute nachwirkendes „Memorial“ in die Köpfe der Menschen zu brennen. Basis der Handlung ist ein Interview das Jackie eine Woche nach dem Attentat einem unbekannten Journalisten (Billy Crudup) gibt. Die Erzählung vor und nach dem Mordanschlag erfolgt dabei in Rückblenden. Durch die herausragende schauspielerische Leistung von Natalie Portman werden die Wesenszüge, Verhaltensweisen und Gefühlszustände von Jackie Kennedy, von der Hilflosigkeit einer Trauernden bis hin zu großer Stärke und Willenskraft authentisch zum Zuschauer transportiert. 01-2017 TH
Where to, Miss?
Am 16.01.2017 feierte der Film "Where to, Miss?" im "Babylon" in Berlin, im Beisein der Regisseurin Manuela Bastian, dem Kameramann Jan David Günther und Birgitta Hahn von der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" Premiere. Ab Donnerstag, 19.01.2017, in den Kinos zu sehen. Ursprünglich sollte „Where to, Miss?" ein Dokumentarfilm über eine junge selbstbewusste Taxifahrerin in Delhi werden, erzählte die Regisseurin im Publikumsgespräch nach der Premiere. Aber dann verliebte sich die Darstellerin Devki und heiratete. Als sie ihre Arbeit aufgeben und aufs Land zur Familie ihres Mannes ziehen sollte, schien sich der Wunsch Devkis auf ein unabhängiges Leben zu zerschlagen. Drei Jahre lang begleitet „Where to, Miss?" Devki durch die drei Lebensphasen als Tochter, Ehefrau und Mutter. Es entstand so eine facettenreiche Langzeitbeobachtung. „Where to, Miss?" vermittelt authentisch die Konfliktsituation in der in Indien eine Frau gerät, welche aus dem traditionellen Rollenverständnissen auszubrechen versucht. Der Film wurde ausgezeichnet mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2016. 01-2017 TH Am 21.07.2017 erscheint „Where to, Miss?" auf DVD und als Video-on-Demand!
Julieta
Tiefe rote Farbe, viele sonnige Bilder, geschmacksvolle Kunst, Frauen, Madrid.... Wir landen in Pedro Almodovars neuem Film „Julieta“, der seit Donnerstag 04.08.2016 zu sehen ist. Die Mutter sucht plötzlich die verschwundene Tochter und merkt dabei wie wenig sie ihr eigenes Kind kennt. Der Film beschreibt sehr nah, was ein Schuldgefühl verursachen kann. Auf Grund des Kommunikationsmangels zwischen Mutter und Tochter entsteht die Dramaturgie von Almodovar. Während der Film läuft, kriegt man keine Ruhe um tief zu atmen und am Ende bekommst du ein Gefühl, dass der Film irgendwie zu kurz war. Almodovar ist wieder da. Wenn über den spanischen Regisseur gesprochen wird, denkt man an die Gefühle als erstes. Er kann Sie am meistens nackig machen. 08-2016 IK
Was sagen die Kolleginnen/Kollegen über Julieta:
Großes Kino! (FAZ)
„Mehr Frauen geht kaum, mehr Almodovar auch nicht“ (Sueddeusche.de)
„ Pedro Almodovar ist und bleibt der Mann, der die Frauen kennt. Auch mit Julieta taucht er ein in die weibliche Psyche und erzählt eine große Geschichte zwischen äußerer Schönheit und innerem Chaos“ (stern.de)
„Endlich findet Pedro Almodovar zu seiner alten erzählerischen Leidenschaft zurück.“
(Die Zeit)
The Revenant – Der Rückkehrer
Mit diesem Film ist dem Regisseur Alejandro Gonzales Inarritu, ein wahres Meisterstück gelungen. Das Werk beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Nordamerika ereignete. Leonardo di Caprio spielt den Trapper Hugh Glass, dessen Sohn von einem seiner Weggefährten ermordet wird. Nach einem Bärenangriff überlebt er schwerverletzt und macht sich auf die Suche nach dem Mörder seines Sohnes. Was er in der Wildnis durchmachen muss, stößt schon an die Grenzen des erträglichen. Die Dreharbeiten fanden in klirrender Kälte unter extremen Bedingungen statt, um die Handlung so authentisch wie möglich darstellen zu können. Das waren schauspielerische Glanzleistungen. Dieser Film geht wirklich unter die Haut und man erlebt ein Kino der Superlative. Leonardo di Caprio hat nun absolut gerechtfertigt bei der 88. Oscar-Verleihung die begehrte Trophäe in der Kategorie "Bester Hauptdarsteller" erhalten. Diesen Film kann man allen Abenteuer- und Westernfans nur empfehlen. Für Lesebegeisterte ist das Buch „Der Totgeglaubte“ von Michael Punke, auf das sich der Film bezieht, ebenfalls ein Muss. 02-2016 HH
Filmwebseite & Filmtrailer:
http://niceplaces.wfilm.de
Seit Januar 2016 ist der Film auf DVD im Handel erhältlich!
Auf dem Friedhof zu Hause sein
Im Kinosaal der Filmpalette sitzen wir zu viert; davon drei ältere Leute und ich. Ist schon klar, kein Mainstream-Film, sondern „ Nice Places to die“. Wäre nicht angenehmer - Nice places, ohne die? Bestimmt. Weil über den Tod zu sprechen macht Angst. Besser wir glauben, dass Leben ist auf der Welt ewig. Damit unser Egozentrum wird erst mal satt. „Hier und Jetzt“ ist immer gut. Reine Spekulation was nach dem Tod kommt. Weg von diesem Thema!
Meine Frage ist – Gibt es Kulturen, die offener sind gegenüber dem Tod als hier in Europa? Ja gibt es! Der Dokumentarfilm „Nice places to die“ zeigt unterschiedliche Kulturen, die ohne Angst vor dem Tod leben können und auch mehr....
Regisseur Bernd Scharmann – Sohn eines Bestatters reiste um die Welt von Argentinien und Ägypten bis nach Sulawesi und auf die Philippinen. Bedauerlicherweise ist er plötzlich mit 46 Jahren 2014 gestorben.
Stadt der Toten
Kairo
Ungefähr von 300 000 Menschen bewohnte Friedhofbezirke, die sich über mehrere Kilometer sowohl nördlich als auch südlich erstrecken. Von der Totalaufnahme weht eine bezaubernde goldene Farbe, die an phänomenale Zivilisationen erinnert, aus dem Weitwinkel schauen die Gräber wie winzige Streichhölzer hervor. Da ist es sehr eng dazwischen. Ein Chaos herrscht hier. 10 000 Menschen, Kinder, Erwachsene, alle Generationen wohnen da. Hauptgrund ist Armut. Sie zahlen keine Miete, keinen Strom. Manche schlafen direkt auf den Grabsteinen. Die Menschen haben keine Angst vor Geistern. Sie machen sich mehr Sorgen um normale Lebende, die dort Atom-Fabriken und Kriege produzieren. Auf diesem Hof ist beruhigender Frieden angesagt. Nichtdestotrotz wird hier das Alltägliche gelebt. Hochzeiten, Geburtstage, Silvester werden hier ganz normal gefeiert, Kinder geboren, fernsehen gekuckt, geträumt vom besseren Leben, von eigenen Häusern, von Ausbildung.
Manila
(Stadt auf den Philippinen) Immer sonnig und farbig, Streichhölzer-Gräber, die im Weitwinkel Türkis, Lila, Weiß, Gelb leuchten. Die Gräber stechen meistens Kinder aus, sie verdienen damit ein bisschen Geld. Pro Tag gibt es hier 60 Tote. „Wenn du Angst vorm Tod hast, hast du Angst vorm Leben“ – Motto der Bewohner von Manilas Friedhof. Das größte Fest Manilas - Allerheiligen - wird auf dem Friedhof gefeiert. Da werden tausende kleine Geschäfte für die Millionen Besucher aufgemacht. Essen und alles Mögliche wird verkauft. Mit diesem Geld können Manilas Friedhofsbewohner ein ganzes Jahr leben. Bewohner von Kairos oder Manilas Friedhöfen haben eins gemeinsam - Sie alle zusammen kämpfen um zu überleben und haben keine Zeit unzufrieden, depressiv oder einsam zu sein.
Weit weg von Manila und Kairo in Argentinien wohnt ein Bestatter namens Ricardo. Er transportiert die Leichen seit 20 Jahren. Ein Sprinter, ein Sack im Auto, Gitarre und viele viele Kilometer vor sich. Ricardo bringt verstorbene Menschen „Heim“- „Sie wollen da begraben werden, wo die Erinnerungen sind, sie erste Schritte gelernt haben.“ Ricardo findet seinen Job wie in Urlaub fahren. Er muss jeden Tag 1000- 1500 Kilometer weit fahren. Die Fahrt ist dann gut überstanden wenn er viel gesungen und neben dem Sack gut geschlafen hat. Ist es irre? Nein! Ricardo hat nur positive Argumente wenn es ums Sterben geht: „Tod bedeutet bei Gott zu gehen. Wenn ein Baby stirbt, das bedeutet Gott braucht einen Engel. Wenn ein Erwachsener stirbt, das heißt er hat Lohn von Gott bekommen, weil er seine Aufgabe erfüllt hat.“ Mit diesen Erklärungen fährt Ricardo durch bezaubernde Landschaften in Südamerika und hat immer ein warmes Lächeln im Gesicht.
Tote als krank/schlafend erklären
„Richtig Tod“ gibt es auf der indonesischen Insel Sulawesi nicht. Der Verstorbene wird dort im Wohnzimmer jahrelang aufgebahrt. Die Toraja (Leute aus dem Bergland) sind ein Volk auf der Insel. Das ganze Leben wird geprägt von ihrem überlieferten Glauben. Ihre Haus-Dekorationen sind Totenköpfe und auch Knochen. Sie haben quasi den Friedhof zu Hause. Torajas glauben das beim Tod eines Menschen die Seele zwar den Körper verlässt, aber in der nächsten Umgebung verbleibt.. Der Leichnam wird darum einbalsamiert und im Haus verwahrt. Bevor das Begräbniszeremoniell kommt (das dauert teilweise mehrere Jahre) wird der Verstorbene wie ein schlafendes oder krankes Familienmitglied behandelt. Das Essen wird ständig neben den Verstorbenen gestellt – also gibt es keine Trauer, sondern der Verstorbene lebt mit den Lebenden. Wenn die Zeit zum Begräbniszeremoniell, zur Befreiung kommt, dann ist Trauer nur möglich. Weinen, Tanzen, Lachen so sieht bei Torajas ein Begräbniszeremoniell aus. Neben gelebten menschlichen Gefühlen werden viele Tiere an diesen Spektakeln geschlachtet, damit sie den Verstorbenen beim Reisen begleiten.
Durch die aktive Trauerarbeit wird der Umgang mit den Tod vereinfacht. Diese vier Kulturvölker gehen so nah an den Tod heran, dass die Angst vorm Sterben verschwindet. Je weniger Angst, desto mehr Glück strahlt in den Gesichtern dieser Menschen.
„Der Tod lächelt uns alle an, das einzige was man machen kann ist zurück lächeln!“ (Marcus Aurelius).
07-2015 Inga Khapava