Die Mentalität passt zur Architektur
- Woher kommen Sie?
- Aus Georgien.
- Aha, aus der ehemaligen Sowjetunion.
Meine Gesichtszüge ändern sich. Oh, ich kann diesen Satz nicht mehr hören. Wieso ist mein Land so unbekannt, dass es immer mit Russland assoziiert wird? Die Sowjetunion ist doch längst tot. Selbst zu Sowjetzeiten haben wir als Amtssprache Georgisch behalten, im Vergleich mit den anderen Sowjetrepubliken. Wir haben immer eine eigene Sprache und eigene Schrift gehabt, die sehr alt ist. „Nichts passt so zum georgischen Wort und Charakter, wie das georgische Alphabet und nichts ist so Georgisch, wie das georgische Alphabet.“ Aka Morchiladze, georgischer Schriftsteller.
Unsere Sprache gehört weder zu der indogermanischen, noch zu der semitischen Sprachgruppe, sie gehört zu der kartwelischen (ließ: georgischen) Gruppe der ibero-kaukasischen Sprachen und bildet dank ihrem Aufbau ein einmaliges Sprachsystem. Ich war manchmal sauer auf die Deutschen. Wenn sie über Georgien hörten und sofort Russland meinten.
Dank der Frankfurter Buchmesse, wo Georgien 2018 als Gastland präsentiert wird, ist das Land in den deutschen Medien deutlich bekannter gemacht worden als vorher. Bald werden 1000de Bücher ins Deutsche übersetz und auch spannende Veranstaltungen vorbereiten sowohl in Deutschland, als auch in der Schweiz und in Wien.
Mehr Infos : http://www.georgia-characters.com/Home.aspx?lang=de-DE
Mehr Infos über georgische Literatur: http://book.gov.ge/en/
Auch möchte ich auf den Kultur-Event „Deutsch-Georgische-Begegnungen“ am 24.03.2018 in Köln hinweisen, wo ich selbst eine Lesung aus meinen Gedichten und Novellen halte. Infos
Georgien ist ein vielfältiges Land. Sehr spannend finde ich bis heute die gespaltene Gesellschaft. Einerseits leben dort Konservative und andererseits fortschrittliche Menschen. Dazwischen gibt es noch keine Brücke. Gefühlmäßig ist es so: du gehörst zu zwei extremen Seiten gleichmäßig. Ich erinnere mich das eine georgische Prosa, die im 5 Jahrhundert geschrieben wurde, über die Rechte der Frauen sprach, nicht destotrotz ist heute der Chauvinismus eine gut angesehen Institution bei Männern.
In der ersten Linie zählt die Gemeinschaft und dann kommt das Individuum. Das ist die Norm. Wer dagegen kämpft kann auch ganz schnell von den Gemeinschaften ausgeschlossen werden. „Lebe gefälligst so, wie deine Eltern gelebt haben, sei selten besser nie allein. Alleinsein ist gefährlich und unnütz. Das Land vergöttert die Gemeinschaft und misstraut dem Einzelgänger. Tritt in Cliquen, mit Freunden, in familiären Gemeinschaften und Interessenkreisen auf – alleine bist du wenig Wert.“ – schreibt die berühmte Schriftstellerin Nino Charatischwili in ihrem Bestsellerbuch „Das achte Leben“.
Die junge Generation, die eine jetzt spannende Umbruchszeit erlebt, ist viel experimentaler, die viel allein sein bzw. unabhängig sein möchte und froh ist etwas Neues zu beginnen. Dadurch fühlt man sich in meinem Heimatland sehr lebendig. Es ist ein dynamischer Prozess, welcher viel Bewegung mit sich bringt. Ich spiele oft mit diesem Gedanken: wie geht das, dass die beiden polaren Seiten miteinander friedlich leben? Nur durch Kreativität und viel Humor - glaube ich. Der Film „Meine glückliche Familie“ ist eine deutsch-georgische Produktion aus 2017, der meine Gedanken bestätigt. Die Hauptprotagonistin ist die Lehrerin Nana, welche versucht aus ihre Familie zu flüchten, weil sie einfach müde ist mit mehrere Generationen in einer kleinen Wohnung zu leben. Sie versucht ein Individuum zu werden. Niemand versteht das, nicht ihre Mutter, nicht ihr Vater, nicht ihr Mann, nicht die Kinder und nicht die Nachbarn. Die Verwandten sind alle dagegen. Alle wollen den Grund wissen, wieso sie die Wohnung verlässt. Dabei hat sie keinen Grund, außer müde zu sein und ständig keine Privatsphäre zu haben. Die Kämpfe und Diskussionen, Drumherum Nana, geschehen unter viel Gesang mit passenden georgischen Wein. Beim lautstarken Stellen dummer Fragen, kommen viele lustige Sachen raus, die den Zuschauer zum Lachen bringen.
https://www.youtube.com/watch?v=VSidDn0pyoE
Als ich wieder einmal mein Land besuchte, hatte ich erstaunlicherweise etwas entdeckt, was ich vorher nicht bemerkt habe. Nämlich die georgische Architektur passt irgendwie zur georgischen Mentalität. Die Ruinen aus sowjetischer Zeit und die ganz modernen Cafés zeigen wie das Land heute versucht die sowjetische Geschichte zu vergessen. Deswegen habe ich gedacht, keine Menschen zu fotografieren, sondern nur die Architektur. Hier bitte schön, diese kann authentischer sein als wir Menschen.
Bericht und Fotos Inga Khapava 01-2018